TU Dresden Rektor*inwahl 2025

Offener Brief an die Mitglieder des Senats und des erweiterten Senats

Sehr geehrte Mitglieder*innen des Senats und des erweiterten Senats,

die Rektor*inwahl der TU Dresden steht kurz bevor und hat das Potenzial unser aller Unialltag nachhaltig zu verändern. Mit nur acht von 41 Stimmen haben wir als Studierendenschaft kaum Einfluss auf ihren Ausgang, deswegen richten wir uns in diesem offenen Brief direkt an Sie als Verantwortliche. Mehr als je zuvor sehen wir es als unsere Pflicht, uns zu den zur Wahl stehenden Kandidat* innen zu positionieren. Die Tatsache, dass in Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus ein Professor in Erwägung gezogen wird, dessen Nähe zu Rechtskonservativen und Klimawandelleugnern öffentlich bekannt ist, macht uns fassungslos. Wir fordern Sie dringend auf, die Wahl von André Thess zum neuen Rektor der TU Dresden zu verhindern.
Es wäre naiv zu glauben, Universitäten seien unpolitische Räume. Ihr gesellschaftlicher Einfluss ist nicht zu unterschätzen, sowohl durch das Vermitteln von Lehrinhalten intern, als auch extern als respektierte Stimme im politischen, wissenschaftlichen und sozialen Diskurs. Wenn die Demokratie zu bröckeln beginnt, gehören sie daher zu den ersten Opfern der Freiheitsbeschränkung. An kaum einem anderen Ort ist es deshalb so unerlässlich eine stabile Brandmauer gegen Rechts aufrechtzuerhalten. Dass die TU dieser Aufgabe mit Thess als Rektor weiterhin nachkommen kann, ziehen wir stark in Zweifel.

Schon in mehreren Kontexten sind Verbindungen zwischen Thess und rechten Personenkreisen ans Licht gekommen. So nahm er bspw. 2022 an einer Podiumsdiskussion des rechtskonservativen Journalisten Roland Tichy teil und veröffentlichte sein letztes Buch im Langen-Müller Verlag, zu deren Autor* innen auch andere fragwürdige Personen gehören – u. a. Thilo Sarrazin, der wegen seinen eugenischen und islamfeindlichen Äußerungen aus der SPD ausgeschlossen wurde. Zudem wählte Thess bei einer von ihm organisierten Fachkonferenz im Juli 2022 Werner J. Patzelt als Schirmherren der Veranstaltung. Dem Politikwissenschaftler war drei Jahre zuvor aufgrund der Vermischung von Politik und Wissenschaft eine Seniorprofessur an der TU Dresden verwehrt worden. Ihm wird eine zu große Nähe zu seinem Untersuchungsgegenstand (AfD und Pegida) vorgeworfen.
Patzelt war nicht der einzige Gast der Fachkonferenz, für den es später Kritik hagelte, auch die beiden Klimawandelleugner Björn Lomborg und Fritz Vahrenholt waren als Sprecher vertreten. Wirklich verwunderlich ist das nicht, Thess macht bei jeder Gelegenheit deutlich, dass er die Energiewende für schlecht geplant erachte. Stattdessen plädiert er für eine Rückkehr in die Atomkraft, wovon sich selbst große Energiekonzerne wie RWE und E.ON längst keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr versprechen, von Strahlungsrisiko und Endlagerungsdebatte mal ganz abgesehen. Die Klimakrise selbst erkennt Thess zwar als menschengemacht an, bezweifelt aber, dass sie ein existenzielles Risiko für den Fortbestand der Menschheit sei und sieht die Lösung in so skurrilen Ansätzen wie einem erleichterten Zugang von Frauen für Verhütungsmittel. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht für uns Studierende als direkt betroffene Generation, sondern auch für eine Technische Universität, deren wissenschaftliche Glaubwürdigkeit mit André Thess als Repräsentant extrem in Mitleidenschaft gezogen würde.

Die größte Krise unserer Zeit sieht Thess anscheinend an anderer Stelle. Immer wieder beklagt er, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet sei, nutzt Begriffe wie „vegane Propaganda“ und ist Mitglied im „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“. Das Netzwerk sieht den akademischen Diskurs durch die „Cancel Culture“ eingeschränkt, spricht von einer „Sprachpolizei“ und lehnt das Gendern ab. So wichtig die Diskussion über Meinungsfreiheit auch ist, sehen wir in dieser Rhetorik doch eine Verschiebung der Debatte ins rechte Spektrum. Auch die Mitgliedschaft Ulrich Vosgeraus, der 2023 beim rechtsextremistischen Treffen am Lehnitzsee in Potsdam dabei war, wird intern offenbar als unproblematisch empfunden.

Die Frage ist, für wen Thess und seine Mitstreiter*innen den gesellschaftlichen Diskurs öffnen möchten und welchen Meinungen sie in Debatten wieder mehr Gehör schenken wollen, wenn er den Bestrebungen des „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“, in dem er tätig ist, gerecht werden möchte. Mit Blick auf frühere Teilnehmer*innen seiner Veranstaltungen, dem Verlag, in dem er publiziert und den Fachtagungen, an denen er teilnimmt, wird uns mulmig zumute.

Wir möchten klarstellen, dass dieser offene Brief nicht als Werbekampagne für Ursula Staudinger gedacht ist. Auch sie hat in Vergangenheit für Unzufriedenheit in der Studierendenschaft gesorgt und auch ihre Kandidatur muss natürlich kritisch hinterfragt werden. Dennoch führen die genannten Punkte für uns zu einer klaren Schlussfolgerung: Wir als Studis gegen rechts und alle mitunterzeichnenden Organisationen werden André Thess nicht als unseren Rektor akzeptieren. Unser Verständnis der Universität als Ort der Wissenschaft, der Diversität, der Inklusion und des Fortschritts ist mit seiner Kandidatur nicht vereinbar. Wir bitten daher darum, dass auch Sie auf Grundlage der genannten Aspekte überdenken, ob Thess für die Position als Rektor ernsthaft in Frage kommt.

Unterzeichnet durch:
Studis gegen Rechts Dresden
FSR Allgemeinbildende Schulen
FSR MEDiC
FSR Physik
FSR Sozialpädagogik
FSR Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft
FSR Verkehr
Campusradio
Evangelische Studierendengemeinde Dresden
DGB Jugend Sachsen
GEW Hochschulgruppe
Kritische Psychologie Dresden
Rock your Life
STAV e.V.
SustainAbility: Nachhaltigkeit verstehen und umsetzen
Amnesty International Hochschulgruppe Dresden

Linkliste:
https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/wie-retten-wir-uns-vor-der-energiewende-tagung/
https://lobbypedia.de/wiki/Roland_Tichy
https://www.langenmueller.de/de/langen/unsere-b%C3%BCcher/sachb%C3%BCcher
https://www.spd.de/service/pressemitteilungen/detail/news/presseerklaerung-der-bundesschiedskommission-der-spd-1/31/07/2020
https://taz.de/Thilo-Sarrazin-der-Eugeniker/!5136593/
https://www.igte.uni-stuttgart.de/dokumente/pdf-news/2022-06-28-Energiewendetagung-Ankuendigung-kurz.pdf
https://tu-dresden.de/tu-dresden/newsportal/news/stellungnahme-zu-den-oeffentlichen-anschuldigungen-von-prof-patzelt-bezueglich-einer-nicht-genehmigten-seniorprofessur
https://www.forschung-und-lehre.de/politik/tu-dresden-trennt-sich-von-werner-patzelt-1428
https://www.flurfunk-dresden.de/2019/01/21/patzelt-vs-tu-dresden-ueber-framing-und-die-mediale-lust-an-konflikten/
https://meyview.com/werner-patzelt-all-against-one/
https://www.t-online.de/region/stuttgart/id_100026398/stuttgart-kritik-an-teilnahme-von-klimaleugnern-an-uni-veranstaltung.html
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/energiewende-kernenergie-hat-sich-fuer-deutschland-erledigt-warum-die-energiekonzerne-keine-rueckkehr-der-atomkraft-wollen/27781670.html
https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/ueber-uns/mitglieder/
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188696.hochschulpolitik-rechte-an-unis-von-wegen-wissenschaftsfreiheit.html
https://www.sueddeutsche.de/politik/netzwerk-wissenschaftsfreiheit-austeilen-und-einstecken-1.5197774
https://archive.is/9Nubf
https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/
https://table.media/research/analyse/kritik-am-netzwerk-wissenschaftsfreiheit-ebbt-nicht-ab-dhv-wird-parteinahme-vorgeworfen/